Naturlatex: Vom ersten Basketballspiel bis zum Fußbett
Die Birkenstocks wären nicht so komfortabel, wenn Christoph Columbus nach seiner Atlantiküberquerung mit der Santa Maria nicht Amerika entdeckt hätte. Kein Scherz! Denn unser Fußbett besteht ausschließlich aus Kork und dem Naturlatex als wichtigstem Bindemittel. Tatsächlich gilt der italienische Seefahrer auch als Entdecker des Naturlatex. Als er 1493 zum zweiten Mal Kurs auf die Neue Welt nahm, beobachtete er die Ureinwohner von Haiti beim Spielen mit einem Gummiball, den sie aus dem Milchsaft eines Baumes hergestellt hatten. Dieser elastische Ball, den die Einheimischen „caa ochu“ oder „weinendes Holz“ nannten, war auch schon bei den antiken Mayas verbreitet, die den Kautschukball durch einen Reifen warfen. Das war die früheste Form des Ballspiels, das heute als Basketball bekannt ist. Von seiner Reise nach Amerika brachte Columbus drei verschiedene Arten von Kautschukbäumen mit nach Europa.
1770 machte der US-amerikanische Chemiker Joseph Priestley die bahnbrechende Entdeckung, dass sich mit einem Stück Kautschuk Bleistiftstriche entfernen lassen. So kam es, dass sich im Englischen die Bezeichnung „rubber“ durchsetzte – abgeleitet aus dem englischen Verb „to rub out“ für wegradieren. Das deutsche Wort Kautschuk entstand dagegen direkt aus aus dem Begriff „caa ochu“. 1839 fand Charles Goodyear heraus, dass sich die Eigenschaften von Kautschuk deutlich verbessern ließen, wenn man ihn gemeinsam mit einer geringen Menge Schwefel erhitzte – ein Prozess, der später als Vulkanisation bezeichnet wurde. Wenn man Kautschuk vulkanisiert, bewahrt er zwar seine Elastizität, wird jedoch fester und weniger klebrig. Durch Zugabe weiterer Stoffe wie z. B. Ruß konnte der vulkanisierte Kautschuk sogar noch härter gemacht werden. Goodyear, der das Verfahren der Vulkanisation per Zufall entdeckte, als in seiner Werkstatt versehentlich eine Mischung aus Kautschuk und Schwefel auf einem heißen Ofen landete, legte den Grundstein für die Reifenindustrie.
Im Zuge seiner Entdeckung wurden in zahlreichen tropischen Ländern im großen Maßstab Kautschukbäume angepflanzt. Ursprünglich wurde Kautschuk aus dem weißen Milchsaft („Latex“) des Ficus elastica, einer Feigenart, gewonnen. Heute stammt Naturkautschuk – auch indischer Kautschuk genannt – aus dem natürlichen Milchsaft des Para-Kautschukbaums (Hevea brasiliensis). Diese Pflanze ist ursprünglich im Amazonas heimisch, wird aber heutzutage weltweit in tropischen Regionen kommerziell angebaut.
Pflanzlicher Latex ist eine komplexe Mischung aus Proteinen, Alkaloiden, Stärke, Zucker, Ölen, Tanninen, Harzen und Gummi, die an der frischen Luft gerinnt. Pflanzen nutzen Latex, um Verletzungen zu verschließen und sich so vor Bakterien und Pilzen zu schützen. Das feine Naturmaterial, das aufgrund seiner Farbe und Konsistenz auch als „Milchsaft“ bezeichnet wird, hat eine deutlich bessere Energiebilanz als synthetischer Latex, der aus Rohöl gewonnen wird, und ist zudem frei von Schadstoffen wie Lösungsmitteln und FCKW. Außerdem weist Naturlatex sehr positive natürliche Eigenschaften wie eine hohe Elastizität und eine ausgezeichnete Atmungsaktivität auf.
Latex wird aus Bäumen gewonnen. Damit der Milchsaft austreten kann, wird die Baumrinde angeritzt. Dieser Prozess ähnelt der Gewinnung von Ahornsirup. Das Anritzen erfolgt ausschließlich in den kühlen Nachtstunden, wenn die Milch am besten fließt. Ein Kautschukbauer benötigt etwa 15 Sekunden, um einen Baum anzuritzen, und schafft in einer Nacht bis zu 500 Bäume. Die weiße Milch wird morgens in kleinen Eimern gesammelt. Ein Kautschukbaum liefert bis zu 300 Gramm Latex pro Nacht. Zwischen Mitte April und Ende Januar wird jeder Baum alle zwei bis drei Tage „angezapft“. Die Bäume werden erst in einem Alter von sechs Jahren zum ersten Mal angeritzt. Ab dann kann ein Kautschukbaum 17 bis 25 Jahre lang Latex produzieren. Der gewonnene Milchsaft, der rund 33 Prozent Kautschuk und 67 Prozent Wasser enthält, wird in einer Fabrik weiterverarbeitet. Mithilfe von Zentrifugen wird der Wassergehalt auf 38 Prozent reduziert und der Kautschukgehalt auf 60 Prozent erhöht. Anschließend wird der flüssige Latex weltweit exportiert.
Der Latex, den Birkenstock für seine Fußbetten verwendet, stammt von Plantagen in Thailand, Vietnam und Guatemala und landet per Schiff in Hamburg und im niederländischen Terneuzen. Von dort aus bringen ihn jede Woche fünf Lastwagen zu unseren Werken in Görlitz und Steinau. Dort wird der Naturlatex bei Raumtemperatur in großen Tanks gelagert. Die Kautschukmilch wird dann mit einer Mischung aus weichem und grobem Korkgranulat zu einer teigartigen Masse vermengt und anschließend zwischen zwei Schichten Jute und einer Deckschicht aus Veloursleder gebacken. Die Substanz wird durch Vulkanisation gehärtet und bewahrt sich die positiven Eigenschaften des Naturmaterials.
Latex gehört zu den wenigen Rohstoffen, die Birkenstock nicht in Europa beschaffen kann. Als angesehenes Unternehmen mit einer Familientradition, die über mehrere Generationen bis ins Jahr 1774 zurückreicht, sind wir uns unserer Verantwortung gegenüber unseren Kunden und Mitarbeitenden bewusst. Wir haben für unsere Geschäftstätigkeiten eine Reihe ethischer und sozialer Standards gesetzt, die uns als Leitbild dienen. Um die Vorgaben des deutschen Lieferkettensorgfalts-pflichtengesetzes (LkSG) zu erfüllen, sorgen wir mit umfassenden Maßnahmen für die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz zahlreicher Umweltbelange. Wir erwarten gleichermaßen von allen Zulieferern, dass sie nach denselben Grundsätzen handeln. Deshalb wählen wir unsere Partner mit großer Sorgfalt aus und überprüfen sie systematisch, bevor wir sie in unser Lieferantenportfolio aufnehmen.
Unsere Experten haben kürzlich die Kautschukplantagen und Produktionsstätten unserer Lieferanten in Thailand und Guatemala besichtigt, um die Arbeitsbedingungen und die Lebensqualität der Arbeiter und ihrer Familien vor Ort zu kontrollieren. Um die Transparenz zu erhöhen, haben wir unsere Lieferketten 2021 außerdem vom Forest Stewardship Council (FSC) zertifizieren lassen. Der FSC ist eine internationale Non-Profit-Organisation, die sich weltweit für eine nachhaltige Forstwirtschaft einsetzt. Seit seiner Gründung im Jahr 1994 hat sich der FSC zum weltweit angesehensten und am weitesten verbreiteten Zertifizierungssystem für nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt. Eine FSC-Zertifizierung bestätigt, dass ein Wald auf eine Weise bewirtschaftet wird, die die Artenvielfalt schützt, die Interessen der lokalen Bevölkerung und Belegschaft berücksichtigt und zugleich wirtschaftliche Ziele erfüllt.
Heute ist bereits über die Hälfte des Latex, den wir verwenden, FSC-zertifiziert und stammt aus Thailand und Guatemala. Unser Ziel ist es, dass in naher Zukunft die gesamte Latexmenge zertifiziert ist. Die Birkenstock Group verbraucht weniger als ein Prozent der weltweiten Jahresproduktion dieses natürlichen und nachwachsenden Rohstoffs. Um den Latex für unsere Fußbetten herzustellen, nutzen wir jedes Jahr 400.000 Kautschukbäume. Dass unser legendäres Fußbett so komfortabel ist, haben wir also auch Christoph Columbus zu verdanken.